Die historische Feindschaft zwischen dem Spiegel und dem Axel Springer-Verlag


Die Rivalität zwischen dem Spiegel und dem Axel Springer-Verlag, insbesondere dessen Flaggschiff Die Welt, prägte jahrzehntelang die deutsche Medienlandschaft. Sie spiegelt nicht nur redaktionelle und ideologische Gegensätze wider, sondern auch den Kampf um Deutungshoheit in zentralen gesellschaftspolitischen Debatten.


Historische Ursprünge

  • Gründungskontext:
  • Der Spiegel wurde 1947 von Rudolf Augstein in Hamburg gegründet und etablierte sich schnell als führendes investigatives Nachrichtenmagazin.
  • Der Axel Springer-Verlag entstand 1946 in Hamburg; sein Gründer Axel Springer erwarb 1953 Die Welt, die als seriöses konservatives Blatt positioniert wurde. Mit der Boulevardzeitung Bild (1952) dominierte Springer zudem den Massenmarkt.
  • Ideologische Gegensätze:
  • Spiegel stand für kritischen, linksliberalen Journalismus, der Machtmissbrauch und staatliche Strukturen hinterfragte.
  • Springer-Medien wie Die Welt und Bild vertraten einen konservativen, antikommunistischen Kurs, unterstützten die NATO und die US-Politik im Kalten Krieg.

Schlüsselereignisse der Feindschaft

  1. Die Spiegel-Affäre (1962):
  • Auslöser: Ein Spiegel-Artikel über mangelnde Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr enthüllte geheime NATO-Übungspläne.
  • Folgen: Die Regierung unter Konrad Adenauer ließ die Spiegel-Redaktion durchsuchen und Augstein sowie Redakteure unter Vorwurf des Landesverrats verhaften.
  • Springers Rolle: Die Welt und Bild stellten die Aktion zunächst als notwendig dar und kritisierten den Spiegel als „Landesverräter“, was die Feindschaft vertiefte.
  1. 1968er-Bewegung und Medienmacht:
  • Während der Studentenproteste positionierte sich der Spiegel oft solidarisch mit den Demonstranten und kritisierte staatliche Repression.
  • Springer-Medien, vor allem Bild, diffamierten die Bewegung als „Chaoten“ und unterstützten harte Polizeimaßnahmen. Dies führte zu Angriffen auf Springer-Lastwagen und der Parole „Enteignet Springer!“.
  1. Juristische und publizistische Scharmützel:
  • Beide Häuser verklagten sich regelmäßig wegen Verleumdung oder Verletzung der Presseethik.
  • Rudolf Augstein und Axel Springer pflegten eine persönliche Rivalität; Augstein nannte Springer öffentlich einen „Machtpolitiker ohne Mandat“, Springer konterte mit Vorwürfen der „systemischen Hetze“.

Die Rolle von Die Welt im Konflikt

Als intellektuelles Flaggschiff des Springer-Verlags stand Die Welt im direkten Wettbewerb mit dem Spiegel um die Deutungshoheit in analytischen Debatten:

  • Konservativ vs. Progressiv: Die Welt betonte staatliche Sicherheit und marktwirtschaftliche Prinzipien, während der Spiegel soziale Ungerechtigkeit und Machtstrukturen kritisierte.
  • Kulturberichterstattung: In den 1980er-Jahren eskalierte die Rivalität um Themen wie RAF-Terrorismus und NATO-Nachrüstung, wobei Die Welt Regierungspositionen verteidigte, der Spiegel sie hinterfragte.

Die digitale Ära: Neue Konfliktfelder

Mit dem Aufkommen des Internets verschob sich die Rivalität:

  • Online-Expansion: Spiegel Online (1994) und Welt Online (1995) konkurrierten um digitale Leserschaft. Der Spiegel behielt seine investigative Tradition bei, während Die Welt auf Meinungsjournalismus und Paywall-Modelle setzte.
  • Politische Polarisierung: In der Flüchtlingskrise 2015 unterstützte Die Welt tendenziell restriktive Maßnahmen, der Spiegel betonte humanitäre Verantwortung.
  • Unternehmensstrategien: Axel Springer erwarb internationale Marken wie Politico Europe (2015) und fokussierte sich auf globale Expansion, während der Spiegel nach einem Bilanzskandal (2018) interne Reformen durchlief.

Fazit

Die Feindschaft zwischen dem Spiegel und dem Springer-Verlag ist mehr als eine Medienrivalität – sie steht für den ideologischen Grabenkrieg im Nachkriegsdeutschland. Während die Konflikte heute weniger polemisch ausgetragen werden, bleiben die Unterschiede in der redaktionellen Haltung bestehen: Die Welt vertritt weiterhin einen wirtschaftsliberalen, sicherheitsorientierten Kurs, der Spiegel sieht sich als Wachhund der Demokratie. Beide prägen damit weiterhin die deutsche Öffentlichkeit, wenn auch in einer zunehmend fragmentierten Medienwelt.


Quellenhinweis: Die Informationen basieren auf etablierten Medienanalysen und historischen Darstellungen zur deutschen Presselandschaft.

Virginie Melan